EMDR Traumatherapie: Ein umfassender Überblick
Die Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) Therapie ist eine innovative und effektive psychotherapeutische Methode, die speziell zur Behandlung von Traumafolgestörungen entwickelt wurde. Seit ihrer Entdeckung Ende der 1980er Jahre durch die amerikanische Psychologin Dr. Francine Shapiro hat sich EMDR weltweit als eine anerkannte und evidenzbasierte Therapieform etabliert. In Deutschland ist EMDR seit den frühen 1990er Jahren im Einsatz und wurde 2015 in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen.
Der Kern der EMDR Therapie liegt in der Annahme, dass traumatische Erlebnisse unvollständig verarbeitet im Gehirn gespeichert werden und so zu gegenwärtigen psychischen Belastungen führen können. Diese unvollständige Verarbeitung kann sich in Form von Flashbacks, Albträumen, Vermeidungsverhalten, negativen Kognitionen und einer erhöhten emotionalen Reaktivität äußern. EMDR zielt darauf ab, diese blockierte Verarbeitung wieder in Gang zu setzen und eine adaptive Integration der traumatischen Erinnerungen zu ermöglichen.
Die acht Phasen der EMDR Therapie:
Eine EMDR Behandlung folgt einem strukturierten Acht-Phasen-Modell:
Anamnese und Behandlungsplanung: In dieser Phase erfasst der Therapeut die Krankengeschichte des Patienten, identifiziert traumatische Erfahrungen und aktuelle Belastungen. Gemeinsam werden Behandlungsziele formuliert und die Eignung für EMDR geprüft. Es ist entscheidend, eine tragfähige therapeutische Beziehung aufzubauen und dem Patienten Ressourcen zur Stabilisierung zu vermitteln.
Vorbereitung: Der Therapeut informiert den Patienten detailliert über den Ablauf der EMDR Therapie, die bilaterale Stimulation und mögliche Reaktionen. Es werden Entspannungstechniken und ein „sicherer Ort“ etabliert, auf den der Patient bei Bedarf zurückgreifen kann.
Bewertung der Zielerinnerung: Gemeinsam wählen Therapeut und Patient eine spezifische traumatische Erinnerung aus, die im Fokus der Behandlung stehen soll. Der Patient wird gebeten, an das Bild, die negativen Gedanken, die damit verbundenen Gefühle und körperlichen Empfindungen zu denken. Der Therapeut erfasst den Grad der Belastung (Subjective Units of Disturbance, SUD) und die Glaubwürdigkeit einer positiven Kognition (Validity of Cognition, VOC).
Desensibilisierung (Reprocessing): Dies ist die Kernphase der EMDR Therapie. Während der Patient sich auf die Zielerinnerung konzentriert, leitet der Therapeut bilaterale Stimulation an. Dies geschieht meist in Form von Augenbewegungen, bei denen der Patient den Fingerbewegungen des Therapeuten folgt. Alternativ können auch taktile Stimulation (z.B. wechselseitiges Tippen auf die Hände oder Knie) oder auditive Stimulation (wechselseitige Töne über Kopfhörer) eingesetzt werden. Die bilateralen Reize aktivieren beide Gehirnhälften und scheinen die Verarbeitung der traumatischen Erinnerung zu erleichtern. Nach jeder Stimulationssequenz berichtet der Patient über seine aktuellen Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen oder Bilder. Der Therapeut greift dabei so wenig wie möglich in den assoziativen Prozess ein.
Installation: In dieser Phase wird die positive Kognition, die der Patient sich in Bezug auf die traumatische Situation wünscht (z.B. „Ich bin jetzt sicher“), verstärkt und in das Gedächtnis integriert. Durch weitere bilaterale Stimulation wird die Verbindung zwischen der Erinnerung und der positiven Kognition gefestigt.
Körperscan: Der Patient wird gebeten, seinen Körper auf verbleibende Spannungen oder unangenehme Empfindungen im Zusammenhang mit der Zielerinnerung zu scannen. Falls noch Belastungen vorhanden sind, können diese mit weiterer bilateraler Stimulation bearbeitet werden.
Abschluss: Am Ende jeder Sitzung sorgt der Therapeut für eine Stabilisierung des Patienten. Er bespricht Bewältigungsstrategien für mögliche Reaktionen zwischen den Sitzungen und erinnert an den „sicheren Ort“.
Neubewertung: Zu Beginn der nächsten Sitzung wird der Fortschritt überprüft. Der Therapeut erfragt Veränderungen in der Belastung (SUD) und der Glaubwürdigkeit der positiven Kognition (VOC) in Bezug auf die bearbeitete Erinnerung. Gegebenenfalls werden weitere Aspekte der traumatischen Erfahrung oder andere belastende Erinnerungen bearbeitet.
Wirkungsweise und Anwendungsbereiche:
Die genaue Wirkungsweise der Therapie ist noch nicht vollständig geklärt. Es wird angenommen, dass die bilaterale Stimulation eine ähnliche neurophysiologische Wirkung wie die REM-Phase des Schlafs hat, in der emotionale Erfahrungen verarbeitet werden. EMDR scheint die Kommunikation zwischen den Gehirnhälften zu fördern und so die Integration traumatischer Informationen zu erleichtern.
Obwohl EMDR ursprünglich zur Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) entwickelt wurde, hat sich ihr Anwendungsbereich erheblich erweitert. Studien und klinische Erfahrungen zeigen die Wirksamkeit von EMDR auch bei:
Komplexer Traumafolgestörung (KPTBS)
Angststörungen (z.B. Panikstörung, soziale Phobie)
Depressionen
Zwangsstörungen
Schmerzstörungen
Trauerprozessen
Akuten Belastungsreaktionen
Persönlichkeitsstörungen
Vorteile der Therapie:
Hohe Effektivität: Zahlreiche Studien belegen die Wirksamkeit von EMDR bei der Behandlung von Traumafolgestörungen und anderen psychischen Belastungen.
Schnelle Wirkung: Im Vergleich zu anderen psychotherapeutischen Verfahren zeigen viele Patienten bereits nach wenigen Sitzungen eine deutlicheReduktion ihrer Symptome.
Fokus auf Verarbeitung: EMDR konzentriert sich auf die Verarbeitung der traumatischen Erfahrung und erfordert keine detaillierte wiederholte Beschreibung des Traumas, was für viele Patienten entlastend sein kann.
Weniger „Hausaufgaben“: Im Gegensatz zu einigen anderen Therapieformen sind bei EMDR in der Regel keine umfangreichen Aufgaben außerhalb der Sitzungen erforderlich.
Wichtige Hinweise:
EMDR sollte immer von einem qualifizierten und speziell ausgebildeten Therapeuten durchgeführt werden. Eine sorgfältige Anamnese und Vorbereitung sind entscheidend für den Therapieerfolg. Obwohl EMDR als schonende Methode gilt, kann die Auseinandersetzung mit traumatischen Erinnerungen vorübergehend intensive Emotionen hervorrufen. Der Therapeut begleitet den Patienten jedochEngmaschig und unterstützt ihn bei der Regulation seinerAffekte.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die EMDR Traumatherapie eine wirksame und innovative Methode zur Behandlung von Traumafolgestörungen und anderen psychischen Belastungen darstellt. Durch die Aktivierung der natürlichenVerarbeitungsprozesse des Gehirns können traumatischeErinnerungen integriert und die damit verbundenen Symptome deutlich reduziert werden, was zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen führen kann.
